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Ute Klein: Übergänge

26. November 1999 – 12. Juni 2000

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Ausstellungsansicht: Ute Klein, Uebergänge, im Vordergrund: "zerschnittene Malerei", geschichteter Block, Oel auf Baumwolle, 1998/99
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Ausstellungsansicht: Ute Klein, Uebergänge, im Vordergrund: "zerschnittene Malerei", geschichteter Block, Oel auf Baumwolle, 1998/99
Die Ausstellung "Ute Klein: Übergänge" zielte darauf ab, " Vernetzungen und Verbindungen zwischen den verschiedenen Gattungen fruchtbar zu machen. Sie aktivierte die Leerstellen zwischen Kunstbereichen, die üblicherweise als streng getrennten Sparten - "Installation", "Malerei", "Fotografie" - behandelt werden. Mit Projektionen im Ausstellungsraum wurden so die schönen Worte, die sie für eine Arbeit im Aussenraum in Amriswil bei ihren Bekannten sammelte, in einer neuen Form und in einem neuen Kontext verwendet. Ebenso waren Beispiele ihrer Malerei und ihrer Kombinate aus Fotografie und Malerei zu sehen.
Durch ihre Zusammenstellung, Schichtungen und Überlagerungen stellt Ute Klein in ihren Werken ebenso wie in der Ausstellung selbst modellhafte Wahrnehmungserfahrungen bereit. Sie baut Wahrnehmungsfallen auf und erzeugt Irritation ebenso wie Lust am Schauen. Das Spannungsfeld zwischen Irritation und Schönheit, zwischen Flimmern und Muster verführt dabei zu einem ständigen Wechsel der Sichtweisen, was von Betracherinnen und Betrachtern ein selbstbewussteres Sehen erfordert.

Ute Klein bezeichnet ihre Arbeiten oft als "Kombinate". Gemäss Wörterbuch entstammt der Begriff dem Jargon der kommunistischen Wirtschaftstheorie und bezeichnet die Vereinigung verschiedener Industriebetriebe. Übertragen auf die Kunst impliziert er ein Zusammenwirken eigenständiger Einheiten in Dienste eines Produktes. Wenn das Produkt das Kunstwerk ist, welches sind dann die einzelnen "Einheiten" die zu seiner Realisierung beitragen? Eine Betriebsbesichtigung in Ute Kleins Kombinaten soll zeigen, welche Systeme hier mit welcher Wirkung zusammengeführt werden.
Zu Ute Kleins Werk gibt es mehrere Zugänge. Die Künstlerin bewegt sich auf verschiedenen Feldern, verwendet in ihren Arbeiten Fotografie, Malerei, plastische Elemente, aber auch konzeptuelle Strategien. Sie arbeitet mit Pinsel, Computer und Kamera, gestaltet Zugabteile, Strassenränder ebenso wie Leinwände und Galerieräume. Die vielen Zugänge erleichtern den Einstieg. Wir können wählen. Ute Klein als Malerin, als Fotografin, als Gestalterin sozialer Prozesse. Jedes Feld funktioniert nach eigenen Gesetzmässigkeiten und eröffnet je eigene Ausdrucksmöglichkeiten. Allerdings – und dies ist die Kehrseite der Medaille – stellen die vielen Zugänge erhöhte Ansprüche an die Orientierungsfähigkeit. Denn bei Ute Klein mischt sich plötzlich die Fotografie in die Malerei, Malerei wird auseinandergeschnitten und zu plastischen Blöcken geschichtet, projizierte Bilder verändern Raumerfahrungen. Die für eine schnelle Interpretation hilfreichen und Überschaubaren Gattungsbezeichnungen wie Fotografie, Malerei, Zeichnung, Skulptur verlieren ihre Kontur. Wenn sich die Fotografie in die Malerei einschleicht, Malerei als plastische Schichtung präsentiert wird, lösen sich die einfachen Begriffe auf. Die vielen Zugänge führen nicht zu je klar abgegrenzten Räumen, sondern in ein Grossraumbüro, in dem offensichtlich an verschiedenen Arbeitsstellen am gleichen Problem gearbeitet wird.
In einem Grossraumbüro arbeiten viele Menschen und auch Ute Klein nutzt für ihre künstlerische Tätigkeit die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit verschiedenen Personen. Im Projekt "Wortschnüre" forderte sie ihren ganzen Freundes- und Bekanntenkreis auf, ihr zwölf schöne Worte für ein Projekt im öffentlichen Raum zukommen zu lassen. Bereits diese Bitte löst bei den Angesprochenen einen ästhetischen Prozess aus: Was ist denn ein schönes Wort? Hängt die Schönheit eines Wortes mit seinem Klang oder seinem Inhalt zusammen? Oder gar von der Form der verwendeten Buchstaben? Und auf den Fuss folgen Fragen nach der Relevanz der privaten Schönheitsvorstellung für die Öffentlichkeit: Sind denn meine schönen Worte von Bedeutung für die Anderen? Und was enthüllen die Worte, die ich als schön empfinde, den Anderen?
Die eingegangenen Wortgruppen, jede für sich ein Psychogramm einer Persönlichkeit, verwendet Ute Klein als Rohmaterial für eine Arbeit im Stadtraum von Amriswil. Sie brach die Gruppen auseinander und reihte die schönen Worte zu Wortschnüren, die sie an Strassenrändern der Kleinstadt auf den Boden schrieb. Neu geordnet in einen neuen Kontext gesetzt, liessen die Wortschnüre an ungewohnten Orten das Schöne aufscheinen. Am Rinnstein entlang, mit Füssen getreten, wie belanglos in unbeachtete Zwischenräume eingefügt, evozierten die schönen Worte Bilderketten voller Poesie und Visionen. Jedes Wort verwies auf ein privates Schönheitsuniversum, das allerdings erst in der Vorstellungskraft der Leserin oder des Lesers seine Strahlkraft wieder entwickeln kann.
Ein zweites Mal verwendet Ute Klein die schönen Worte in dieser Publikation. Die Wortschnüre bilden hier quasi den Rahmen der Arbeiten von Ute Klein und verweisen darauf, dass jede Arbeit von Künstlerinnen und Künstler eingebunden ist in ästhetische Konventionen, die sich in Schönheitsvorstellungen des Publikums ausdrücken. Und sie stellen jeder Leserin, jedem Leser die Frage, wie denn ihre zwölf schönen Worte heissen und welches denn die ästhetischen Werte sind, an denen die Kunst nicht nur von Ute Klein gemessen werden könnte. Die Zusammenarbeit mit Künstlerkolleginnen aber auch die Nutzung unkonventioneller Räume für die Kunst zeigt sich auch in anderen Arbeiten von Ute Klein. Zusammen mit Regula Michell und anderen Künstlerinnen gestaltete und betrieb die Künstlerin 1998 eine illegale Bar in Zürich. Bei diesem Projekt interessierte die Frage, ob und wie die Kunst soziale Prozesse gestalten könne. Erlaubt eine Kunstbar andere Formen der Kommunikation? Kann eine Bar ein ästhetisches Projekt sein? Kann denn die Kunst ins Leben eingreifen und welcher Elemente muss sie sich dabei bedienen? Ute Klein steckte zusammen mit Regula Michell für eine Nacht tausend weisse Papierstreifen in die Deckenschlitze des Barraums und verwandelten den neutralen Büroraum in einen atmosphärischen Stimmungsträger. Für jene, die’s wussten, zeichneten die Streifen das Alphabet des chinesischen Orakelspiels "I Ging" in den Barhimmel. Für die anderen wurden die Streifen im Ultravioletlicht zum attraktiven Ornament und Stimmungsträger. Schönheit kristallisierte sich hier im oberflächlichen Gefallen ebenso wie in einem Verweis auf ein Denkgebäude, in dem Formen, ihre Gestaltung und Anordnung nicht nur Schein sondern auch Inhalt bedeutet.
Ute Kleins Schaffen zeigt sich aber nicht nur in der Gestaltung sozialer Prozesse. Ganz anders und scheinbar viel traditioneller wird in der Abteilung "Malerei" des Grossraumbüros gearbeitet. Das Malen gehört zu den wichtigen Betätigungsfeldern von Ute Klein. Im Atelier entstehen Bilder in den unterschiedlichsten Dimensionen: manche nur wenig grösser als eine Hand, andere wandfüllend. Die Bilder stehen in einer Tradition der gegenstandslosen Malerei. Ihr offensichtlichster Inhalt sind die Ausdrucksmöglichkeiten der Malerei selbst. Im vierteiligen Bilderzyklus "Für Lethe" zum Beispiel öffnet die Künstlerin auf je zwei raumhohen Bildtafeln malerische Bildräume. Mit einem Pinselduktus, der gleichermassen expressiv wie kontrolliert auftritt, setzt sie Farbakzente, die in ein spannungsvolles Wechselverhältnis zueinander treten. Es öffnen sich ungefestigte Bildräume, die allenfalls als Landschaften gedeutet werden können, in denen jedoch das Hinten und Vorne, das Verhältnis von Tiefe und Fiéche labil bleibt. Die Bilder entziehen sich einer festen, eindeutigen Lesbarkeit. Verfährt von einer Farbfläche zur anderen verheddert sich unser Blick in diesen Wahrnehmungsfallen. Auch der Titel der Bilderserie – "Für Lethe" – hilft nicht aus der Falle. Im Gegenteil, die Widmung an die griechische Göttin des Vergessens führt noch zu weiteren Verstrickungen. Der Verweis auf die griechische Mythologie verspricht verbindliche Inhalte, die allerdings in den Bildern keine zeichenhafte Bestätigung erfahren. Das Vergessen ist nicht Inhalt der Bilder. Vielleicht aber wird es als Voraussetzung für ein unvoreingenommenes Schauen vorausgesetzt. Die Bilder von Ute Klein erweisen sich so als offene Wahrnehmungsfelder, die weniger Aussagen formulieren, denn zum Schauen und Interpretieren verführen wollen: " Ob jemand über den Begriff "Landschaft" oder über die Geschichten griechischer Göttinnen oder über Farbverteilungen in die Bilder eintritt, ist mir nicht besonders wichtig," meint Ute Klein. "Jeder wählt die ihm entsprechende Einstiegstüre. Keine der Sichtweisen ist richtiger oder besser. Die Sichtweisen brechen abrupt oder schleichend in andere Räumlichkeiten um. Jeder der verschiedenen Zugänge führt in ein Bild; allerdings eher in eine Frage als in eine eindeutige Antwort". Wer sich auf die Malerei von Ute Klein einlässt, begibt sich so in einen Schweberaum zwischen Erkennen und Imagination, zwischen Sehen und Erinnern, zwischen Wahrnehmung und Vergessen. Radikal weitergeführt wird diese Übereignung des Bildes an das Publikum im Werk "Zerschnittene Malerei". Dieses besteht aus einer Schichtung von 40 x 40 cm grossen Leinwandquadraten, die aus gemalten Bildern geschnitten wurden. Zu einem kubischen Block gestapelt, ist obenauf nur noch ein Ausschnitt aus einem der zerschnittenen Bilder zu sehen. Der Block darf vom Publikum eingesehen und umgeschichtet werden. Er muss aber immer wieder in seine ursprüngliche Form gebracht werden. Der Block liest sich wie ein Manifest:
1.\tNicht alles ist sichtbar.
2.\tDas Sichtbare verdeckt das Nichtsichtbare.
3.\tDie Schichtung bestimmt, was sichtbar ist.
Jeder Besucher, jede Besucherin trifft auf eine bestimmte Schichtung, eine bestimmte, vorgegebene Ordnung. Diese lässt sich verändern. Betracherinnen und Betrachter wählen selbst den Bildausschnitt, der sichtbar ist. Allerdings schränken die Spielregeln des Bilderblocks die Möglichkeiten dessen, was sichtbar gemacht werden kann, entscheidend ein. Der Block und das ihm innewohnende Potential sichtbarer Bilder ist wichtiger, als das einzelne oben aufliegende Bild. Auch wenn die Künstlerin dem Publikum das Angebot zur Partizipation macht und die Auseinandersetzung mit dem Bild als offener Prozess der Interpretation verstanden wird, ist nicht das Spiel das Thema, sondern die Wechselwirkung von Ordnung und Sichtbarkeit.
Auf den ersten Blick scheint die Malerei eine geschlossene Werkgruppe zu bilden, die mit den anderen Tätigkeitsfeldern der Künstlerin wenig zu tun hat. Diese Geschlossenheit bricht jedoch da auf, wo Ute Klein Fotografien in die Bilder einfügt. Das Eintauchen in die reine Malerei wird nachhaltig gestört durch die aufgeklebten Fotografien. Die Störung der Malerei durch das billige, maschinelle Bild der Fotografie erzeugt einen Schock. Das Aufkleben verletzt die Einheit des Gemalten. Gewaltsam wird eine weitere Bildebene eingeführt, die sich durch ihre andere Oberflächenstruktur, durch ihren leichten Glanz und der versiegelten Oberfläche unvereinbar vom Gemalten abhebt. Zudem tritt die klar gezeichnete Objektwelt der Fotografien in Konkurrenz mit dem gegenstandslosen Form- und Farbenspiel der Malerei. Das klar und glänzend gezeigte Ding überstrahlt die Farbtiefe des malerischen Ornaments. Allerdings nehmen die Fotografien und das Gemalte in Farbigkeit und Form aufeinander Bezug. Die Fotografien werden nicht als Auslöschung aber das Gemalte geklebt, sondern zuerst auf der Leinwand fixiert und dann sorgfältig ummalt. Manchmal auf den Kopf gestellt und somit ihrer ehrzählerischen Deutlichkeit beraubt, Überdecken sie nicht, sondern sind Ausgangspunkt und integraler Teil des Gemalten.
Die Irritation entsteht nun durch die Gleichzeitigkeit von Unvereinbarkeit und Integration. Das Gemalte und die Fotografie entsprechen je unterschiedlichen Wahrnehmungsstrategien. Die Fotografien verlangen Nähe und Detailinteresse. Die malerischen Strukturen dagegen leben vom Überblick, vom Atmosphärischen und der Aufmerksamkeit fürs Ganze. In den Kombinaten von Ute Klein kippt das Schauen unablässig zwischen diesen Anforderungen hin und her. Jedes Bild verlangt gleichzeitig nach unterschiedlichen Sichtweisen. In jedem Bild überlagern sich mehrere Ansichten.
Ute Klein verwendet in ihren Bildern eigene Fotografien. Mit der Kleinbildkamera geschossen haben ihre Bilder nichts vom repräsentativen Auftritt der Kunstfotografie eines Thomas Struth oder Thomas Ruff an sich. Ute Kleins Fotografien zeigen Unspektakuläres in unspektakulärem Kleinbildformat: eine gelbe Gitterabschrankung, eine geschlitzte Raumdecke oder ein Stuhl vor einem Fenster. Menschen sind auf den Fotografien kaum je zu sehen. Ute Klein sammelt mit ihren Fotografien räumliche Situationen und Muster, die ihr Interesse geweckt haben. Manchmal finden auch Dokumentationsfotografien ihrer Aktionen oder der installativen Werke Verwendung. Die Fotografien interessieren nicht als Widerspiegelung der Realität. Sie sind vielmehr als formale Elemente einerseits, als Katalysatoren von Assoziationen andererseits von Bedeutung. Entsprechend tauchen sie nicht als autonome Werke auf. Sie werden entweder in die Malerei integriert oder aber zusammen mit anderen Fotografien zu "Kombinaten" zusammengefügt.
Das Zusammenfügen dieser Realitätssplitter schafft lebendige, vielfältige Bildfelder, in denen die einzelne Fotografie immer nur im formalen und motivischen Zusammenspiel mit ihrem Umfeld gesehen werden kann. Die Eindeutigkeit der einzelnen Fotografie wird eingeschmolzen zu einem Ornament, einem Bilderfeld ohne vorgegebene Richtung. Es gibt keine klar ins Auge springende Aussage mehr, sondern es baut sich ein vielfältig verwobenes, rhizomartig wucherndes Netz auf, in dem das unmittelbare Nebeneinander unterschiedlichster Reize zu einem ständigen Hin und Her des Schauens und des Denkens führt.
Bei den Fotokombinaten bleibt das Zusammenfügen der Bilderornamente als ein Zusammenschieben von Einzelbildern nachvollziehbar. Nicht mehr auflösbar ist der Herstellungsprozess dagegen bei den Computerarbeiten mit dem Titel "Übergänge". Hier wurden quadratische Bilder digitalisiert und auf dem Computer transparent übereinander gelegt. Das Resultat dieses Schichtungsprozesses ist nicht mehr ein nachvollziehbares Übereinander oder Nacheinander. Im Ausdruck verschmelzen die Bilder übergangslos ineinander und werden zu einem neuen Ganzen. Alles bleibt irgendwie sichtbar, verliert durch die Gleichzeitigkeit der Bilder allerdings an Kontur bis hin zum vollständigen Verlust der Wiedererkennbarkeit. Erst der ordnende Zugriff beim Betrachten - die Selektion dessen, was wir sehen wollen - verleiht den Bildern wieder Inhalt.
Ute Kleins Arbeiten im Grossraumbüro verwendet verschiedene künstlerische Strategien mit ähnlichem Ziel. Ihre Werke stellen modellhafte Wahrnehmungserfahrungen bereit, die die Bedingungen der veränderten Wahrnehmungserfahrungen am Ende des 20.Jahrhunderts thematisieren. Durch unkonventionelle Schichtungen, Reihungen oder Kompositionen von Bildelementen erzeugt sie einerseits Wahrnehmungsfallen und Irritationen. Andererseits aber entstehen Muster oder gar Ornamente, in denen zeitgenössischen Standards der Schönheit erprobt werden. Dieses Spannungsfeld zwischen Irritation und Muster erzwingt einen ständigen Wechsel der Sichtweisen, was von Betrachterinnen und Betrachtern ein (selbst-)bewussteres Sehen erfordern.

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