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Joseph Kosuth: Das Dasein und die Welt

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Joseph Kosuth, Das Dasein und die Welt, 2013, Zitat von Friedrich Nietzsche aus "Die Geburt der Tragödie", 1872.
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Joseph Kosuth, Das Dasein und die Welt, 2013, Zitat von Friedrich Nietzsche aus "Die Geburt der Tragödie", 1872.
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Joseph Kosuth, Das Dasein und die Welt, 2013, Zitat von Friedrich Nietzsche aus "Die Geburt der Tragödie", 1872.
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Der Künstler Joseph Kosuth vor der Leuchtschrift an der Fassade der Kartause Ittingen, 2014. Fotografie: Mirjam Wanner

Herstellungsjahr: 2013

Technik: Zitat von Friedrich Nietzsche

Masse: Leuchtschrift an der Fassade der Kartause Ittingen

An der Fassade des ehemaligen Klosters ist ein Text zu lesen: "Denn nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt. F.N.". Dieser Satz ist zugegebenermassen nicht einfach zu verstehen. Was soll das sein, ein "ästhetisches Phänomen"? Und in welcher Beziehung soll dieses zum Dasein und der Welt stehen?
Vielleicht hilft es zu wissen, dass das "F.N." ein Verweis auf den Philosophen Friedrich Nietzsche ist und der Satz aus einem seiner bekanntesten Bücher, der "Geburt der Tragödie" von 1872, stammt. Für den Philosophen ist das „ästhetische Phänomen“ eine Fähigkeit. Er meint: „Im Grunde ist das ästhetische Phänomen einfach [zu verstehen]; man habe nur die Fähigkeit, fortwährend ein lebendiges Spiel zu sehen und immerfort von Geisterscharen umringt zu leben, so ist man Dichter; man fühle nur den Trieb, sich selbst zu verwandeln und aus anderen Leibern und Seelen herauszureden, so ist man Dramatiker“. Nietzsche versteht unter dem „ästhetischen Phänomen“ also die Fähigkeit, die Welt mit einer besonderen Intensität zu sehen und zu verstehen, also ein Dichter, ein Maler, ein Musiker zu sein. Das ästhetische Phänomen ist die Begabung, sich das Dasein und die Welt kreativ anzueignen. Weiter schreibt Nietzsche, dass es darum gehe „das Dasein als begreiflich und damit als gerechtfertigt erscheinen zu machen“. Das Dasein und die Welt werden also erst durch eine besondere künstlerische Fähigkeit und Haltung, durch Fantasie und Kreativität überhaupt begreifbar. Nur wer kreativ auf die Welt schaut, kann sie sehen.
Der Satz wurde vom amerikanischen Konzeptkünstler Joseph Kosuth ausgewählt und als Kunstwerk in Neonschrift an der Fassade angebracht. Joseph Kosuth arbeitet in seiner Kunst meist mit Zitaten. Er will Bedeutung nicht durch eigene Erfindung schaffen, sondern allein dadurch, dass er Zitate in einen neuen Zusammenhang stellt, also etwa indem er ein Zitat eines Philosophen an der Fassade des ehemaligen Klosters montiert. Er ist überzeugt, dass nicht Künstlerinnen und Künstler Bedeutung schaffen, sondern dass sie in den Köpfen jener Menschen entsteht, die Texte lesen, Musik hören oder Bilder anschauen. Er meint: ”Die Leute sollen hingehen, über den Text nachdenken, über die Installation, über die gesamte Präsentation und ihren Ort. Ich möchte die Situation (…) vermeiden, in der uns als passive Kulturkonsumenten von anderen, die wir in der Position von Autoritäten vermuten, Bedeutungen vorgesetzt werden. Ich möchte nicht, dass Leute sich zurücklehnen, um Gemälde anzuschauen. Ich möchte vielmehr, dass sie einen spezifischen Bruch der normalen Erfahrung von Bedeutung finden, um aus den Elementen, die ich zur Verfügung stelle, eine eigene Konstruktion zu machen.”
Joseph Kosuth benutzt also das Zitat von Friedrich Nietzsche, die Wand des Klostergebäudes und nicht zuletzt einen ganz besonderen Schrifttypus um ein Geflecht an Verweisen aufzubauen, das als Ausgangspunkt für eine Interpretationsarbeit mit offenem Ausgang dienen soll. Dabei ist immer klar, dass die Betrachterin, der Betrachter selbst wesentlichen Anteil daran hat, Sinn zu konstruieren.

Link zum art-tv-Beitrag.

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