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Olaf Nicolai: Mirador / Selkirk

Mirador_Selkirk.jpg
Vom Werk "Mirador-Selkirk" darf keine Reproduktion erstellt werden.

Herstellungsjahr: 2009

Technik: Fotografie

Masse: 155 x 189 cm

2009 schuf der deutsche Konzeptkünstler Olaf Nicolai für die Ausstellung „Mirador“ im Kunstmuseum Thurgau ein Kunstwerk, das die besonderen Bedingungen des Ortes thematisiert. Bezugnehmend auf die Lebensweise der Kartäusermönche als Einsiedler wandte er sich der Figur von Robinson zu, die bis heute als Paradigma des isolierten, einsamen Individuums gilt. Er reiste zur Robinsoninsel, um da eine Fotografie zu machen, die in der Kartause Ittingen, dem Kloster der Einsiedler gezeigt werden würde.

Daniel Defoe liess sich bei der Gestaltung der Romanfigur „Robinson“ massgeblich inspiriert vom Leben des Abenteurers Alexander Selkirk inspirieren. Der Freibeuter liess sich nach einem Streit mit seinem Kapitän 1704 auf der zum Juan-Fernandez-Archipel gehörigen Insel „Mas a Tierra“ aussetzen und blieb bis zu seiner Errettung 4 Jahre und 4 Monate auf der Insel. Nach der Rückkehr nach England wurde seine Geschichte veröffentlicht. Selkirks Abenteuer und Defoes Fantasie vereinten sich im Roman „Robinson Crusoe“ zu einem Werk, das heute zu den Klassikern der Weltliteratur gehört.
Für die Arbeit „Mirador“ reiste Nicolai selbst zu jener Insel im Südpazifik, auf der Selkirk 4 Jahre ausgeharrt hatte, und schoss da eine Fotografie. Das Bild „Mirador/ Selkirk“ zeigt den heutigen Zustandes des Aussichtspunkts (spanisch „Mirador“), von dem Selkirk nach Schiffen Ausschau gehalten haben soll. Vom Negativ wurde nur ein einziger Abzug erstellt und für die Präsentation im Museum sorgfältig gerahmt. Die Hinterlegung des Negativs und eine notarielle Beglaubigung verunmöglichen eine weitere Vervielfältigung. Zudem ist es strengstens verboten, das Werk zu fotografieren oder abzubilden.
Nicolais Rückgriff auf den Mythos des Robinson Crusoe steht in engem Bezug zur klösterlichen Tradition der Kontemplation und des frei gewählten Rückzugs in die Einsamkeit. Darüber hinaus geht es dem Künstler um die paradoxen Zusammenhänge von Phänomenen, die gegensätzlich sind, wie Einsamkeit und Zirkulation, Authentizität und Konstruktion, Original und Reproduktion.
Mit dem Besuch der sagenumwobenen Insel im Südpazifik, auf welcher die reale „Robinson Crusoe“-Vorlage Alexander Selkirk in völliger Einsamkeit vier Jahre gelebt hat, baut Olaf Nicolai eine Brücke zwischen dem Ausstellungsort in der Kartause Ittingen als Ort des Rückzugs und der Kontemplation der Mönche einerseits und dem Wunsch des modernen Menschen nach einer zumindest zeitweiligen Auszeit von der Alltagswelt ohne Internet und Telefon, ohne Termine und Verpflichtungen, ohne Leistungsdruck andererseits.
Darüber hinaus wird die Fotografie durch die Beschränkung auf einen einzigen Abzug und die sichere Verwahrung aller Daten, die weitere Abzüge verhindert, zu einer Ikone, einem originalen Einzelstück. Dies erhöht den materiellen Wert ebenso wie den ideellen. Der Künstler wird zum Erzeuger eines kostbaren Objektes, ähnlich dem Maler eines Ölgemäldes. Mit dieser künstlichen Wertsteigerung einer eigentlich reproduzierbaren Fotografie stellt Olaf Nicolai die Frage nach dem Originalitätsbegriff in der heutigen Kunst und verweist auf Marktmechanismen, die auch im Kunstumfeld bestimmend sind. Durch die Auflage, nur einen einzigen Abzug des Fotos zu machen, wird auch der Zerfall eines Kunstwerks problematisiert und der Einzelstückcharakter der Arbeit zusätzlich gestärkt.
Das Werk von Olaf Nicolai fügt sich nahtlos in die Sammlung des Kunstmuseums Thurgau ein. Es wird Teil einer Werkreihe, die den Bezug zum Ort thematisieren und erweitert die Beispiele internationaler Konzeptkunst, die im zeitgenössischen Sammlungsbereich des Museums einen wichtigen Schwerpunkt bilden.

Biografie