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Zilla Leutenegger: Scala

Zilla Leutenegger Scala klein
Zilla Leutenegger, Scala, Videoprojektion im Grossen Ausstellungskeller, 2008,© Kunstmuseum Thurgau

Herstellungsjahr: 2008

Technik: Video-Installation

Im Rahmen der Einzelausstellung „Zilla und das 7. Zimmer“ im Kunstmuseum Thurgau ist 2008 im Unteren Keller der Kartause Ittingen die Video-Rauminstallation „Scala“ entstanden. Bei diesem Werk handelt es sich um eine eng mit dem Raum verbundene Installation. Im dunklen Keller wird durch einen Projektor das Bild einer sitzenden Schattenfigur an die dicken Steinmauern geworfen; mittels der Position des Projektors hinter einer Steintreppe erhält die Figur einen Sitzplatz: den Schatten der Treppe. Der Einbezug eines real im Raum anwesenden Gegenstandes erhöht auch den Realitätsstatus der Figur - der Betrachter schaut sich unweigerlich um, ob er nicht auch die Person entdecken kann, die für den Schatten der Frau verantwortlich ist. Doch vergebens - es findet sich nur ein Projektor im Dunkeln. Aber mit diesem ersten Realitätseindruck nicht genug: Nimmt der Beschauer die klassische Besucherposition vor dem „Bild“ ein, wird er gleichwertiger Teil des Kunstwerks, indem auch sein Schatten neben dem der Frau in gleicher Grösse projiziert wird; für einen Moment scheint eine Interaktion mit der Fremden und ihre körperliche Präsenz zum Greifen nahe. Bei der projizierten Frauenfigur handelt es sich um die Künstlerin selbst; sie sitzt auf einer Treppe im Seitenprofil und trägt einen Rock und kurze Haare. Die schöne Silhouette wippt mit ihren schlanken Beinen auf dem Treppenansatz, lässt schliesslich ihren Kopf auf ihre Brust sinken, während ihre Hände fest um die Knie geschlungen sind. Plötzlich gehen die Hände zum Gesicht bevor sie lässig fallen gelassen werden. Die Schattenfigur berührt mit den Händen wippend ihre Zehen, dann spielt sie mit ihren Fingern, scheint diese anzublicken und so weiter. Was macht diese Frau, von der wir nur die Konturen kennen? Im räumlichen Kontext des ehemaligen Kartäuser Klosters könnte man an ein meditatives Innehalten in der Stille und Einsamkeit denken. Doch gerade das Gegenteil - die Zerstreuung - scheint zutreffend, denn die minimalen langsamen Bewegungen der Figur legen ein gelangweiltes Warten nahe, doch das Er-Wartete bleibt aus; es findet keine Steigerung statt. Die vom Betrachter erhoffte Auflösung durch einen erzählerischen Fingerzeig tritt nicht ein, schon gar nicht die im allerersten Moment zu erkennen geglaubte Entertainment-Show, bei der der grelle Scheinwerfer genauso präzise und rund auf den Showmaster geworfen wird wie hier bei Zilla Leutenegger. „Es sind denn auch keine narrativen Geschichten, die ich zeige, sondern Bewegungsstudien“, sagt die Künstlerin. Statt die genuine Möglichkeit des Bewegtbilds zu nutzen - nämlich eine Geschichte zu erzählen wie es auch im „populären“ Gebrauch des Mediums Video üblich ist - verwendet Zilla Leutenegger in „Scala“ das Medium, um Zustände mit ihren dazugehörigen minimalen Bewegungen zu beobachten. Durch den Einsatz des Mediums Video - die Künstlerin arbeitet sonst meist auf der Grundlage von Zeichnungen - wird ihre Zustands-Untersuchung für den Betrachter auch in der Zeit erfahrbar. Auch dass die Trägerin der untersuchten Seins-Zustände auf ihren Schatten reduziert wird und somit Mimik und Aussehen keine Rolle spielen können, spricht dafür, dass Zilla Leuteneggers Erforschung gerade an der Umrisslinie und ihrer Bewegung ansetzt. Doch kann uns der Schatten eines Menschen auch täuschen: In Assoziation mit Platons Höhlengleichnis, könnte man Zilla Leuteneggers Installation als Aufruf zum Misstrauen gegen die Ab-Bilder lesen. Im Gleichnis des antiken Philosophen geht es um Menschen, die seit ihrer Kindheit in einer unterirdischen Höhle mit ständigem Blick auf die Höhlenwand gefesselt sind. Hinter ihnen brennt ein Feuer und Menschen gehen vorbei. Weil die Gefangenen nur deren Schatten wahrnehmen können, interpretieren Sie diese als reale Figuren. Auch Zilla Leuteneggers Video-Installation wirft die Frage nach der „richtigen Wahrnehmung“ auf, gerade weil die ursprüngliche Figur abhanden gekommen ist. Ist die Figur auf der Treppe vielleicht anwesend, aber unsichtbar? In welcher Realitäts-Ebene befinden wir uns wenn wir uns auf das Schattenbild einlassen? Auch in der bildüberfluteten Mediengesellschaft, in der wir leben, täte uns ein grösseres Misstrauen gegen die geschönten und somit vom Original weit entrückten Bilder gut. Unser Verständnis von Realität und der eigenen Identität könnte damit ein Stück weniger scherenschnittartig sein. Und damit wären wir wieder beim In-sich-hinein-Hören der schweigsamen Mönche des Kartäuser Ordens. „In meinen Arbeiten“, so die Künstlerin „geht es viel ums Alleinsein. Meine Figur ist immer allein. Man schaut in einen Ausschnitt aus dem Leben dieser Person, und es ist immer Nacht.“ In ihrem Alleinsein und in der Banalität ihrer minimalen Handlungen ist die Figur auf sich selbst zurückgeworfen. „Wer bin ich?“, könnte sich der Betrachter stellvertretend für die Figur fragen, „was bleibt mir wenn all das geschäftige Treiben des grellen Tages verschwunden ist?“. Fragen nach den Grundbedingungen menschlicher Existenz drängen sich auf. Der dunkle Keller steht also letztlich nicht für den Raum selbst, sondern für die Befindlichkeit des Menschen darin. Denn für Zilla Leutenegger steht die einzelne Figur als Exempel für das Menschsein im Zentrum. Miriam Geiger

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