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Wyss, Beat

Die Enteignung der Kultur

Vortrag: Symposium "Professionalisierung - Fluch oder Segen", Kartause Ittingen, 25./26.5.2005 Professionalisierung?

Als ich die interessante Einladung bekam, an dieser Tagung teilzunehmen, stutzte ich einen Moment, ich glaubte, das Thema nicht verstanden zu haben. „Professionalisierung der Kultur“… Unterstellt die Frage etwa, dass Kulturarbeit bisher nicht professionell verfahren sei? Welcher Begriff von „Professionalität“ wird hier stillschweigend vorausgesetzt? Wenn es um die Frage nach dem “return of invest“ geht, dann offenbar aus einem ziemlich eng definierten Verständnis. Professionell ist das, was nach den Regeln der Betriebswirtschaftslehre funktioniert. Soweit ist es nun gekommen: Die neoliberale Mentalität hat sich in unser aller Köpfe derart festgesetzt, dass wir ihre Prämissen schon gar nicht mehr befragen. Seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Ende der 1980er Jahre steht das globalisierte Marktsystem ohne Gegner da. Keine Frage, es war höchste Zeit, die maroden, menschenverachtenden Diktaturen abzuwickeln. Doch der Preis dafür ist jetzt, dass der Kapitalismus keinen Fressfeind mehr hat, mit dem er im Wettbewerb steht. Und damit kommt die Idee des Liberalismus an eine paradoxe Grenze: Ein Gesellschaftskonzept, das sich über Konkurrenz reguliert, scheint konkurrenzlos dazustehen. Und das kann auf Dauer nicht gut gehen. Der Neoliberalismus wird dann zur Ideologie, wenn er mangels Fremdwahrnehmung seine, zum Teil durchaus brauchbaren, Auffassungen für die ganze Wahrheit hält. Systeme können sich nur begreifen, wenn sie ihre Grenzen kennen. Systeme ohne Grenzerfahrung werden dumm. Der globalisierte ‚Westen’ – ein paradoxer Name, Überbleibsel aus der Zeit der Systemkonkurrenz – beginnt sich seine Feinde ja schon selber zu phantasieren und führt Krieg gegen Phantome, um sich das böse Aussen damit erst zu schaffen. Dieser ‚Kampf der Kulturen’ droht in einen Kreuzzug zu führen, der so erbärmlich enden wird, wie sein historischer Vorläufer.

Keine Angst, ich will den Bogen nicht überspannen; doch der Sieg des angelsächsisch dominierten Wirtschaftssystems hängt mit den aktuellen Problemen unserer Kulturpolitik zusammen. Seitdem der englische König Karl I von Cromwells Rumpfparlament 1649 angeklagt und geköpft wurde, unter anderem wurde dem Mäzen und Liebhaber der Künste Verschwendungssucht vorgeworfen, hat das puritanische England nie einen öffentlichen Kulturbetrieb hervorgebracht, wie wir dies in den Staaten von Old Europe kennen. Die ehemalige Kolonie, die Vereinigten Staaten von Amerika, sind diesem Beispiel gefolgt. Man kann sich daher schon fragen, ob wir einen Kulturbegriff als verbindlich annehmen sollen, der unserer Tradition nicht unbedingt entspricht. Ob nicht die Besinnung auf korporative Werte der Bürgerlichkeit und des Gemeinsinns bewahrt werden sollen, auf deren Fundament unsere Kultur bisher aufruhte.

Es ist mir bewusst, dass ich mit dieser Diskurslinie prompt in die Moralinfalle geraten würde. Wer den Fehler macht, ethische Werte zu reklamieren, droht heute, wo der ökonomische Sachzwang als Kardinaltugend gilt, abzublitzen wie Don Quijote. So bleibe ich bei Argumenten und weise zunächst in aller Form die Behauptung zurück, Kulturarbeit sei nicht professionell genug – und zwar durchaus im Sinne der Betriebswirtschaft. Als Beispiel beginne ich mit dem Kunstmarkt, einem Gewerbe, in der die Wirtschaftsförmigkeit der Kultur klar ausbildet ist. Wohin man sie treibt, wenn man dabei übertreibt, soll gezeigt werden.

Die Kunst als Ware

In den neunziger Jahren vollzog sich mit kultureller Verspätung im Kunstbetrieb das, was in der Ökonomie seit zwei Jahrhunderten gültig ist: Die Wende von der Tauschgesellschaft zum Kapitalismus. Im klassischen Kunsthandel herrschten die Regeln des gerechten Warentausches: Das Geld diente als jener allgemeine Wert, der sich in Brot, in Blech oder ein Gemälde verwandeln lässt, gemäss dem Kreislauf: „Ware – Geld – Ware“. Zweck des Tauschvorgangs war somit die Ware, in unserem Fall die Kunst, von der durch wiederholte Tauschprozesse mittels Geld eine Sammlung zustande kam. Dem Besitzer wäre es nicht eingefallen, sich vorzeitig von seinem Zeugnis kultivierten Lebensstils zu trennen, denn ebendies zu zeigen, war der Sinn all der Tauschaktionen gewesen. Erst die Erben pflegten aus Habsucht und Streit eine Sammlung zu zerschlagen, was – wenn diese von Bedeutung war – in den Feuilletons beklagt und von den Museen durch Ankauf zu verhindern gesucht wurde.

Dass Kunst teuer ist, wusste man schon damals, doch die Einsicht gehörte zu den verfemten Seiten der Kultur, über die man nur hinter vorgehaltener Hand und näselnd gesenkter Stimme in den Kontors der Galerien sprach. Das Etikett der Bohème diktierte dem Künstler eine wie immer auch gespielte Gleichgültigkeit in finanziellen Dingen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete sich in Paris die Institution der Kunstgalerie aus, die ökonomisch akkurat den linearen Fortschrittsbegriff in der Kunstentwicklung wiederspiegelte. Der Galerist kaufte billig die Werke von jungen, unbekannten Künstlern zusammen, wartete, bis diese durch Salonausstellungen dem Publikum vorgestellt waren, hoffte auf eine gehörig umstrittene Aufnahme durch die Kritik, jener Bedingung, die das Werk schliesslich berühmt machen sollte. Im Gleichschritt stiegen die Preise. Wenn sie zu stagnieren drohten, musste die Umstrittenheit geschürt werden.

"Ein probates händlerisches Mittel, Preise hochzutreiben, war auch die Verknappung der Ware. Henri Kahnweiler wies Picasso und Braque an, keine Ausstellungen zu beschicken; ihr Kubismus sollte unter Ausschluss der Öffentlichkeit zunächst nur in seiner Galerie stattfinden. Der Kurs zahlte sich aus. „Sie bellen, wir reiten“: Goethes Grundsatz verhalf den Schützlingen Kahnweilers zu Verkaufserfolgen, während das kubistische Mittelfeld um Gleizes und Metzinger sich die Finger wundschrieb mit schwer verständlichen Manifesten zu mässigen Bildern. Oft ist zu hoher Diskursbedarf ein Zeichen ökonomischen Schwächelns."

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Die Old Art Economy entsprach dem gründerzeitlichen Kapitalismus. Die Galeristen glichen jenen Wertpapierbesitzern, die ihren BMW-, Nestlé- und Sandoz-Aktien durch alle Höhen und Tiefen die Treue hielten. Die Regel des alten, des linearen Kunstmarkts beruhte auf der Philosophie des immerwährenden Fortschritts an Wertzuwachs. Der Künstler, eingebunden in dieses lineare System, hatte eine übersichtliche Rennstrecke zu fahren. Wichtig war eine erfolgreiche Ausgangsposition beim Massenausbruch aus der Akademie. Es galt, eine möglichst nachhaltige Neuheit hinzulegen und diese Linie dann durch alle Überholmanöver möglichst klar zu halten. Keine Experimente, keine neuen Neuheiten! Sie würden die Marktchancen nur schmälern. Der erfolgreiche Kurs eines Künstlers bestand darin, seine Neuheit wie eine Standarte im Gewimmel der Konkurrenzschlacht aufrecht zu halten. Erfolg bestand – informationsthetoretisch ausgedrückt - in der ausgewogenen Mischung von Innovation und Redundanz: Das Neue sollte durch Wiederholung zum künsterischen Markenzeichen werden. Die mit jeder Ausstellung bestätigte Position machte durch Wiedererkennbarkeit wett, was sie an Neuheit mit den Jahren verlor.

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Die Wende im Künstlerbild vom Boèmien als einem Verächter des schnöden Mammon kam mit Andy Warhol, der das Geld-Tabu brach indem er Geldscheine porträtierte und bekannte, sein schönstes Ziel als Künstler sei es, reich zu werden. Die Hochkonjunktur für Kunst in den achtziger Jahre begünstigte das Nacheifern des Warholschen Grundsatzes. Jedoch mit fatalen Konsequenzen. Die für ein Jahrhundert gültige Strategie von Kunst und Markt brach um 1990 ein. Die direkte Abhängigkeit von globalen Ereignissen wie dem Golfkrieg, sowie den Konjunkturzyklen der Weltwirtschaft zeigte sich beim Zusammenbruch der japanischen „bubble-economy“ 1991, deren Tycons mit Vorliebe die Impressionistenpreise in schwindelerregende Höhen getrieben hatten. Mit der einsetzenden Hochzinspolitik wurden die Ressourcen für Kunst einstweilen ausgetrocknet.

Ganz im Sinne von Marxens These der Entwicklung zum Monopolkapital traten um 1990 die grossen Auktionshäuser auf: als Retter der Gegenwartskunst. Begleitet war die Kampagne von einem headhunting; ein schweizerischer Abwerbungsfall war Arina Kowner, die 1997 von der Migros-Ankaufskommission zu Sotheby ging.



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Der Übergang von der Old Art Economy der Galerie zur New Art Economy des Auktionshauses hat zwei Seiten; beginnen wir mit der Guten. Der überhitzte Markt der Achtzigerjahre verdiente eine Schrumpfkur, denn das Kunstgeschäft war auch zu einer Schattenwirtschaft der Steuerflüchtlinge, der unerfahrenen Spekulanten und internationalen Geldwäschern geworden. Der Kunstmarkt funktioniert parallel zu den Gesetzen der Börse. Die ökonomische Korrektheit, mit dem der Umbau vonstatten ging, begann sich bereits in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre auszuzahlen. Die Gewinne sind steigend – sodass es sich heute eher lohnt, an Kunstauktionen, als an der Aktienbörse zu spekulieren. Allerdings sind die Pakete für den Normalverbraucher unerschwinglich. Ein lohnender Einstiegspreis liegt bei der Dollarmillionengrenze. Neben dem Eventcharakter des Verkaufs ist es auch der hohe Status der Provenienz, was die Galerien kaum bieten können. Der Käufer neuen Typs erwirbt sich nicht nur einen Gegenstand, sondern auch die Aura des Besitzer-Stammbaums – heisse er nun Warhol, Thurn-und-Taxis, Kennedy-Onassis, Monroe, oder Dora Maar. Wiederum bestätigt sich ein Marxsches Diktum - das vom Fetischcharakter der Ware. In Kunstform erstrahlt er in absoluter Reinheit.

<àDie Prominenz des früheren Besitzers als preissteigerndes Element. Deutscher Auktionsrekord: die Versteigerung des Schlossinventars des Markgrafen von Baden erzielte 1995 im Verlauf einer eines 15 tägigen Marathons 77,58 Millionen DM. Der Kunstmarkt wird zum Event, wobei an der Kunst weniger der ästhetische Wert, als der Reliquienwert ersteigert wird. Die Parade der Prominentenauktionen: 1988 Nachlass Andy Warhol, 1993 die Thurn-und-Taxis-Auktion, 1996 Nachlass Jaqueline Kennedy-Onassis, 1998 Windsor-Nachlass, 1999 Marilyn Monroe – Auktion.
àSammlungen machen auch im Warensegment Moderne die Preise: Der Nachlass von Dora Maar, Picassos Lebensabschnittsgefährtin der Guernica-Zeit, brachte 1998 213,4 Millionen Francs ein.> 733

Stand bei der Old Art Economy am Ende des Tauschs zwischen Kunst und Geld die Sammlung, so hat sich in der New Art Economy die Wertspirale umgedreht von W – G- W auf G – W- G. Zweck des Sammelns ist der Kapitalertrag aus Kunst.

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Auf der Strecke bei diesem Verramsch-Gebaren bleibt die Langzeitperformance der Künstler.

Feudalisierung der Kultur

Das Museum hat sich zum Antagonisten des Kunstmarkts entwickelt. Dafür gibt es zwei Gründe: Ausgenommen das Getty Museum mit seinem Etat um 100 Millionen Dollar jährlich für Anschaffungen, können die institutionellen Habenichtse einfach nicht mitbieten. Der zweite Grund hängt direkt mit dem Mechanismus der New Art Economy zusammen: Das Museum entzieht die Werke dem permanenten Kreislauf von Geld – Ware – Geld. Permanente Sammlungen sind, vom Standpunkt des Markts gesehen, gefrorenes Kapital, Golddukaten im Schatzkästlein des kulturellen Warentauschs. Natürlich gründet der Preis der Marktheroen auf musealen Weihen. Ein Werk muss mit Diskurswährung gedeckt sein; ohne museale und kunstkritische Bonität kommt Kunst nicht über die Subsistenzwirtschaft zwischen Wohnzimmer und Zahnarztpraxis hinaus. Und doch bleibt die Tatsache, dass zuviel Museumsware das handelbare Material blockiert. Bezeichnend für einen Zeitgeist, der dem kanonischen Endlager-Gedanken abhold ist, sind die Sammlerleihgaben, die auf Zeit den Museen überlassen werden. Damit wird die Option auf einen Wiedereintritt ins Kunst-Bingo offengelassen. Die Zwitterform des „Händlermuseums“ (Herchenröder) hat Gestalt angenommen. Die Fondation Beyeler in Riehen und die Sammlung Berggruen in Berlin erfreuen sich auch beim Publikum grösster Beliebtheit. Museen sind out.

Nomadisierendes Kapital umgibt sich gern mit der Aura des Mäzenats. Zu den reichsten Sammlern gehört Friedrich Christian Flick, dessen Name mit dem deutschen Volk in unentrinnbarer Weise verstrickt ist. Mit dem deutschen Volk ist Flicks Wirtschaftsimperium Hitler gefolgt, mit dem Einsatz der deutschen Werktätigen hat Flick nach dem Krieg unter Erhardt das Wirtschaftswunder vollbracht. Die Schuld ist Geschichte. Es bleibt die Verantwortung. Kann man die vom Steuerparadies Schweiz aus übernehmen? Hier ist F.C. Flick in bester Gesellschaft mit Tennisprofis und Autorennfahrern in einer Schweiz, die finanzdemographisch zu einem Monte Carlo ohne Meerblick mutiert. Doch wer will es dem Jet Set verargen, wenn die globalisierte Wirtschaft kein besseres Beispiel bietet? Global Players geben sich nicht ab mit so was Kleinkariertem wie der Gewerbesteuer vor Ort der Firmengründung. Unser System hat sich zurückentwickelt zur Ständegesellschaft, wo Bauern und Bürger für den Adel die Steuern zahlten, damit der auf seinen Schlössern mit Kunst repräsentieren kann.

Mit der Sammlung F.C. Flick empfängt Berlin, Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, die Gunst eines privaten Sammlers, für sieben Jahre auf das Niveau der Kunstmetropolen New York, Paris und London gehoben zu werden. Diese Abhängigkeit des Staates ist das wirklich Bedenkliche an diesem denkwürdigen Ereignis. Die Kultur und die Wirtschaft ziehen an einem Strang, wenn es darum geht, ihren Segen zu globalisieren. Kein Wunder, denn es handelt sich um dieselben Entscheidungsträger und um dieselbe Logik, die darüber befindet, wann ein Unternehmen oder ein Museum in eine profitablere Zone zu verlagern sei. Wir sind Zeugen vom Umbau der republikanischen Strukturen des bürgerlichen Staates in einen neuen Absolutismus der Superreichen, welche die Kultur bestimmen wie einst die Medici. Die Politiker, wir alle werden zu Hofschranzen eines internationalen Kunstkartells.

Kunst als Potlatsch der Macht

Grosse Sammler sind auch unsere Banken. Warum sammelt eine Bank Kunstwerke, da sie doch selbst schon eine Sammlung verkörpert? Wertpapiere, Goldreserven, Aktienfonds und Spareinlagen machen aus der Bank ein Museum des Geldes.

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Warum bleibt die Bank also nicht bei ihrem Leisten und sammelt das, wovon sie von Berufs wegen auch wirklich etwas versteht? Weil sich Geld in eher unansehnlichen Kunstdrucken darstellt. Geldwert bekommt erst sex appeal, wenn er in sinnlich gewandelter Form sich vorführt: als Luxus. Verschwendung und Grosszügigkeit sind Ausdruck souveräner Macht, der sich in allen Kulturen findet. Aus dem Indianischen kommt das Wort Potlatsch: Es bezeichnet die mutwillige Vernichtung von Werten durch Opfer und öffentlich dargebrachten Geschenken. Der Häuptling erweist sich darin erhaben über den Kreislauf von Nehmen und Geben, wie ihn die blanke Notdurft des Lebens diktiert. Feste und Feuerwerke der Könige sind, wie auch ihre Kriege, grandiose Vernichtungmassnahmen von Gütern, die das Ansehen und die Macht des Spenders besiegeln sollen.

Könige sammelten auch Kunst und dies umso mehr, als sie im Zeitalter des Merkantilismus
sich in Handel und Märkte einzumischen begannen. Kunstwerke sind, wie Fest und Krieg, zwar unnütze Verausgabungen; doch lässt sich der Wert, der im Kunstwerk eingebracht ist, wieder leicht in Geld zurückverwandeln. Kunst macht den Kompromiss zwischen Potlatsch und Wertanlage.

So können wir die eingangs gestellte Frage beantworten: Die Bank sieht in der Kunst einen Parallelwert zum Geld, der den doppelten Vorteil hat: sowohl den Reichtum des Unternehmens sichtbar zu machen, als auch Wertspeicher zu sein – bei klugen Ankäufen mit steigender Tendenz. Aus Bankperspektive lässt sich das Kunstwerk definieren als ein Wertapier, das dem Auge angenehm auffällt.

Für die Wirtschaftsförmigkeit des Kunstsystems gibt es kulturgeschichtliche Gründe. Die Kunst, wie wir sie heute kennen, ist ein Produkt des freien Marktes. Zumindest in einem Punkt unterscheidet sich aber ein Kunstwerk klar von einem Wertpapier. Sein Hauptzweck ist das Herstellen von Kommunikation. Wer Kunst sammelt und diese öffentlich ausstellt, macht ein Gesprächsangebot. Kunst bietet, wie das Wetter, einen geradezu idealen Gesprächsstoff. Im Prozess der Globalisierung stossen Kulturtraditionen aufeinander, die über Religion, über Ökonomie und Politik sehr verschiedene Ansichten und Interessen hegen. Eine Kunstausstellung kann der erste Schritt sein, sich näher zu kommen. Gewiss gibt es auch hier sehr abweichende Auffassungen darüber, was gefällt. Doch im Gegensatz etwa zur Frage, wie die Beschäftigungspolitik einer Bank zu bewerten sei, bleibt die Bewertung ihrer Kunstsammlung immer offen. Kunst ermöglicht eine Kommunikation, bei der die Beteiligten gegensätzliche Urteile fällen können, ohne den Verlauf des Gesprächs zu gefährden. Das Reden über Kunst sei liberaler Art, sagt Hegel. In diesem Sinne bekräftigt jede Kunstausstellung das Fundament der offenen Gesellschaft.

Wer bürgt für die Werte?

Als die absolutistischen Herrscher im Verlauf des 18. Jahrhunderts begannen, ihre kostbaren Sammlungen öffentlich zugänglich zu machen, gab es dazu verschiedene Gründe: Man sicherte sich durch demonstrative Zurschaustellung des Besitzes das Ansehen legitimer potestas; zugleich folgte man dem Ruf der Aufklärung und leistete seinen Beitrag zur Volksbildung. Die nachhaltigste Wirkung aber war, dass durch die Öffentlichkeit die Sammlungen neu bewertet wurden. Pionier, ein Jarhundert zuvor, war Ludwig XIV, der mit der Gründung der Akademie zugleich die diskursive Durchdringung seines Kronbesitzes durch Künstler und Inellektuelle verband. Dieses Konzept haben die Nationalstaaten übernommen, wenn sie die wissenschaftliche Erfassung, die gezielte Öffentlichkeitsarbeit, die Publikation von Sammlungen zum kulturpolitischen Schwerpunkt machten. Der Kronschatz verwandelte sich zum nationalen Kulturgut und erfuhr damit eine Wertsteigerung, die durch die kollektive Wertschätzung der Gesellschaft mitgetragen wurde.

Heute gibt es die Tendenz, das kulturelle Tafelsilber der Gesellschaft abzustossen. Es wird dabei übersehen, dass den Museen als Diskursbank der Kunst eine zentrale Aufgabe im Wertsystem zukommt. Die hohen Preise am Markt zehren vom Erbe der alten linearen Auffassung , wonach Kunst ein langfristiger, stabiler Wert sei, Tendenz steigend. Gekrönt wurde bisher die Markt-Performance eines Lebenswerks durch die Aufnahme in den musealen Olymp, was einer immerwährenden Wertgarantie gleichgekommen ist. Die kurzfristige Abfackelung von Gewinnen, die Peristaltik des steten Ansaugens und Ausstossens von frischem Kunstmaterial zwecks Abschöpfung von Gewinn lässt den Kunsthandel zum Warentermingeschäft verkommen

Es ist höchst fraglich, welcher Wertspiegel nach dem Abwickeln der Diskurswährung die Deckung der Kunstpreise übernehmen könnte. Nach aller bisherigen Erfahrung war es die gesellschaftliche Annahme eines verbindlichen Kanons der Kultur, auf dem der materielle Wert von Sammlungen beruhte. Die Kapitalanlage Kunst baut auf der Stetigkeit der Institution Kunst: Diese besteht in der Übereinkunft einer „Ars perennis“, einer ewigen Kunstpflege, die im Aufbau von Kenntnis und Erinnerung die Basis der Wertschöpfung bildet. Der Kunstmarkt muss im Interesse einer stabilen Preispolitik in die Infrastruktur der Institution Kunst investieren. In diesem Fall bedeutet dies: Investieren in die Agenturen des Diskurses: die Akademien, die Museen, die Universitäten. Die Kunsthistoriker, jene schlecht bis unbezahlten Gehilfen des Markts, sind ein Symptom für eine Goldgräberpolitik, die das kulturelle Erbe abholzt wie Regenwald.

(Agri-)Kultur

Es ist gerade diese depressive Fehleinschätzung, die der Kultur heue zu schaffen macht. Mehr Selbstbewusstsein wäre Gebot. Wir müssen das Profil auf Kampf stellen. Beginnen wir mit der Aussenwahrnehmung. Die Geringschätzung kultureller Arbeit

àEin-Euro-Jobs

als einer kulturell, sozial und wirtschaftlich wichtigen Beschäftigung ist hausgemacht - ich spreche einmal nur von meinem Fach Kunstgeschichte - Resultat der Sklavenhaltung von Volontären in Museum und Denkmalpflege, was die Achtung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ruiniert. In keinem andern Berufszweig wird die Selbstausbeutung des Nachwuchses so ungeniert betrieben. Die verantwortlichen Chefs wirken als Profosen ihrer Artgenossen; komplette Dienstleistungsangebote tauchen in den Betriebsbudgets gar nicht auf, weil sie im Frondienst abgeleistet werden. Damit liefern wir Kulturarbeit zu Dumpingpreisen den politischen Behörden und betonieren kurzsichtige Sparpläne auf lange Zeit hinaus zum Normalfall.

Statt kleinlaut die Hand für Almosen hinzuhalten, muss Kulturarbeit die Gegenrechnung aufstellen. Der Kulturbetrieb in Baden-Württemberg, beispielsweise, weist ein Bruttosozialprodukt auf, das etwa der Landwirtschaft entspricht. Es ist aber verdächtig, dass die statistischen Ämter, im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen, darüber keine Zahlen führen. Man will es offenbar nicht so genau wissen, Kultur soll in Demutshaltung als Subventionsempfängerin verharren. Nur gut daher, dass heute eine pragmatische Studentengeneration Kunstgeschichte mit BWL im Nebenfach belegt, eine Kombination, die zu meiner Zeit der linken Wolkenkuckucksheime für undenkbar, wenn nicht gar politisch unhaltbar gehalten wurde. Diese Generation wird es hoffentlich schaffen, den Managern und Politikern vorzurechnen, wie viel Arbeitsplätze durch Umsetzung von Kunstgeschichte in Praxis geschaffen werden. Der Denkmalschutz kurbelt die Baubranche an, deren instand gesetzten Sehenswürdigkeiten wiederum den regionalen Busunternehmen und der örtlichen Gastronomie zu Gute kommen. Die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbereiteten Ortsbilder werden von der Tourismusbranche wirtschaftlich abgeschöpft, so gut wie die professionell geführten Museen, deren Programme in den Hotel-Lobbies aufliegen. Wie viele von diesen bunten Faltprospekten wurden von Volontären in Nachtarbeit geklebt? Den vielleicht gleichaltrigen Angestellten hinter der Conciergetheke wird nicht zugemutet, dem kulturverwöhnten Reisegast sein „Was kann ich für Sie tun?“ ohne Arbeitsvertrag und zum Nulltarif zuzuflöten.

Kultur entspricht dem Ethos der Old_Economy: Wie der Bauer aus seinem Stück Land, holt der Kapitalist immer nur heraus, was er zuvor in seinen Betrieb hineingesteckt hat; New Economy hingegen ist nomadisierendes Kapital, das über wirtschaftliche Brandrodung nicht mehr kultivierbares Ödland hinterlässt.

Wir können nur hoffen, dass die Wirtschaft von den Vikingern lernt: als Normannen sind diese doch wieder sesshaft geworden, was sich wirtschaftlich und kulturell gerechnet hat.

Neoliberalismus

Nicht die Kultur ist in der Krise, sondern eine neoliberale Wirtschaft, die ein historisch beispielloses Desinteresse an Kultur entwickelt. Mit der Ära Lothar Späth ist eine ganze Generation vom Typ des bildungsbürgerlichen Allrounders abgetreten. Der Manager heute ist eingespannt in den Hamsterkreisel von Controlling und Aktienperformance. Allenfalls Sportsponsoring liegt da noch drin, denn das gibt Quote und bleibt damit wirtschaftsförmig.

Das Modell des Kultursponsorings gehört in die Zeit, als man nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die westliche Wirtschaft zum Idealfall politischer Ökonomie stilisierte. Das ist gescheitert. Bleibt die öffentliche Hand und eine staatliche Kulturpolitik, die in Baden-Württemberg zwar Vorbildliches geleistet hat. Doch wenn die Global Players im Ländle sich vor lauter Weltläufigkeit für die Gewerbesteuer zu schade finden, dann wird es auch für Vater Staat eng.

Daimler Chrysler glaubt, der Konzern sei als global player seiner Stuttgarter Heimat keine Gewerbesteuer mehr schuldig. Einer neoliberal verkommenen Gesellschaft ist klar zu machen, was ihre bevorzugten Firmenstandorte noch wert sind, wenn die Kulturstandorte abgezogen werden. Richten sich die Managermandarine nach der Logik von Aktienbörse und Billiglohnländern, wird sie eine Entwicklung einholen, die auch ihren kulturellen Lebensstandard auf das Niveau eines globalisierten Mittleren Westens drückt.

Die Tendenz wird sich durchsetzen mit der normativen Trägheit des Faktischen. Auf ganzer Ebene, vom Konsumenten zum Produzenten, sind wir eine Gesellschaft von Schnäppchenjägern: Ja nichts investieren, zocken und dann abhauen, bevor die Folgekosten auftreten. Die Kritik geht an uns alle: jene, die das Kilo Putenfleisch zu € 2,99 essen und jene, die sich die Arbeit in Bulgarien einkaufen.

èDamit wird in einer Zangenbewegung das Netzwerk der Produktion zerstört: Oben von Managern, die nur nach der Profitmaximierung im Sinne der Aktionäre und unten in der Unterbietung von Preisen, die jeder Produktionslogik spotten.
èèHybrider Spätkapitalismus: Nicht mehr der Mehrwert von der Produktion, sondern der Mehrwert des Mehrwerts wird abgeschöpft.

Gewaltentrennung zwischen Kunst und Wirtschaft

Die technische Produktion beschäftigt sich mit Fragen nach dem Wie?: Wie kann etwas schneller, nützlicher und billiger produziert werden? Die Fortschritte in der Wissenschaft verdanken sich dem analytischen Geschick, Warum?-Fragen in Wie?-Fragen aufzulösen. Kunst und Humanwissenschaften aber fragen nach dem Warum? Da sie das Erbe von Religion und Metaphysik in die wissenschaftlich entzauberte Welt hineintragen. Die Kunstproduktion errichtet technisch und praktisch eine Gegenposition zur Welt der Wissenschaft und Industrie. In ihren Methoden und Theorien setzt sie das Erbe der Alchemie fort unter den Bedingungen und im Schatten moderner Wissenschaft. Die Künstlerin, der Künstler verhält sich zur industriellen Realität wie die Hebamme zum modernen Spitalbetrieb. In den künstlerischen Verfahren lässt sich eine anthropologische Konstante feststellen: das Festhalten an einem magischen Diskurs über die Grundfragen des Menschen: Woher sind wir? Wer sind wir? Was sollen wir tun? Wohin gehen wir? Die Wissenschaft kann dazu keine Antworten geben; sie kann nur Probleme lösen, da sie sich technisch zum Leben verhält. So vollständig es unser praktisches Leben beherrscht, kann das technische Wissen das hartnäckig überlebende metaphysische Bedürfnis nicht befriedigen. Das Kunstwissen verhält sich imaginativ zum Leben; ihr Weltbild beruht noch immer auf dem Makrokosmos-Mikrokosmos- Modell neuzeitlicher Naturphilosophie. Es wundert also nicht, wenn in jedem Werk der Kunst, mag es noch so überraschen in der Neuheit seines Ausdrucks und seiner technischen Verfahren sein, in seinen Sinnfragen uns so altvertraut und heimatlich erscheinen.

Die zwei Denkprogramme: das instrumentelle Wissen und imaginative Wissen benötigen einen Kulturvertrag, der auf die Gewaltentrennung baut. Es gibt gegenwärtig Strömungen in Wissenschaft und Technik, die die Sinnfrage - von Gentechnologie und Flügen zum Mars - alleine zu lösen beansprucht. Die Monokultur der technischen Produktion neigt dazu, industrielle Sachzwänge und ökonomische Interessen mit New Age-Gebaren zu verschleiern. Doch Metaphysik ist Kunstsache!

Die Gesellschaft braucht Kunst zum Überleben. Nicht nur, weil ihr sonst der Sinn abhanden käme; in der Tat ergeben Profitmaximierung und Beschleunigung von Produktion und Information, für sich genommen, noch keine geistige Lebensqualität. Der Verlust der Sinngebung hätte die Desintegration der Gesellschaft zur Folge. Die globalisierte Informationsgesellschaft droht zu einem System unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu werden. Hochinformierte, chronisch überarbeitete Minderheiten thronten in gläsernen Büroetagen mit Aussicht auf ein Meer urbaner Verelendung. Die Datenkanäle erreichten die da oben unter Umfahrung der zerfallenden Stadteile und banlieus. Wie heute schon in Rio de Janeiro oder in Los Angeles, kehrten diese wenigen, die die Informationsgesellschaft ausmachen, abends in ihre befestigten Bungalowsiedlungen zurück, deren Golfplätze und Jacuzis von Privatmilizen bewacht würden. Der Sohn studierte in Harvard, da die staatlichen Bildungseinrichtungen obsolet sind. Die Informationsgesellschaft zahlte ja keine Steuern und würde sich daher den sozialen Service privat leisten können. Ein solches Szenario ist in Ländern, die wir zur Dritten Welt zu zählen pflegen, bereits Wirklichkeit. Wir sind auf dem Weg, uns diesem Standard anzupassen. Die Frage ist nur, wie lange die Informationsgesellschaft ihr Inseldasein überleben kann, wenn das soziale Netz ganz zerrissen ist.
Die Mehrheit auf der Erde verfügt nicht einmal über eine Steckdose - jener technischen Bedingung der Möglichkeit, der Informationsgesellschaft anzugehören.

Kunst braucht Öffentlichkeit - und zwar nicht nur im erfüllten Tatbestand eines sich versammelnden Publikums. Kunst braucht Öffentlichkeit in Form von Rezensionen, Berichten, Debatten. Im Diskurs um die Kunst verknüpfen sich ästhetische Erfahrung mit Fragen der Ethik. Das altmodische Wort enthält Stolpersteine für den reibungslosen Fortschritt. Im Begriff schon steckt ein Beharrendes, auf ein "Früher" Verweisendes. Ethos heisst: Gewohnheit, Sitte, Brauch. Ethik ist die Lehre von den Leitlinien des Handelns, die durch Alter und Überlieferung legitimiert erscheinen. Ethos ist der traditionale Kern jeder Kultur, sofern wir Kultur definieren als die Gesamtheit der Erscheinungsformen, womit eine Gesellschaft die Lebensinteressen ihrer Subjekte nach Gewohnheit, Brauch und Sitte reguliert.
àEs gibt Künstler, die lässt man schon mal abziehen in das Museum, jenem Olymp des Diskurses. Mondrian gehört zu den Künstlern, die dabei Schlagzeilen machten. Obwohl auch ehr, in seiner abstrakten Frugalität, zu den Diskursgrössen zählt, musste das Gemeentemuseum in Den Haag 1998 immerhin 80 Millionen Gulden hinblättern, um den Grossen Sohn des Landes mit seinem Victory Boogie Woogie im Hause vertreten zu haben. Der grösste Ankauf in Deutschland tätigte die Berliner Nationalgalerie, die sich 1999 für 18,5 Millionen DM Ernst Ludwig Kirchners „Potsdamer Platz“ sicherte. àGenius loci.

àRekordpreise 1990: Renoirs „Moulin de la Galette bei Sotheby´s für 78,1 Millionen Dollar, van Goghs „Portrait du Docteur Gachet bei Christie´s für 82,5 Millionen Dollar.
àDie Erben des Papierfabrikanten Ryoei Saito erzielten 1998 nur noch die Hälfte des Rekordpreises, den der Verstorbene 1990 für die genannten Bilder von Renoir und van Gogh bezahlt hatte.
àAltmeister des Pop-Kalauerns, Jeff Koons, brachte es mit seiner Porzellanplastik „Woman in Tub“ gar auf 1,7 Millionen Dollar.
àDer absolute Star ist und bleibt von Gogh. Bereits 1998 erhält sein „Selbstporträt ohne Bart“ den Zuschlag für 71,5 Millionen Dollar. Eine Zeichnung wurde bei Sotheby für 8,8 Millionen Pfund versteigert, war mithin 1,4 Millionen teurer als das Blatt von Michelangelo, das bei Christie´s kürzlich unter den Hammer kam. Dass Bill Gates dagegen nur 30,8 Millionen Dollar für ein ganzes Konvolut an Schiften und Zeichnungen von Leonardo, den Codex Leicester, hinblättern musste, zeigt wie irrational die Wertentwicklung der Ware Kunst im Preis-Leistungsverhältnis ist.> 1650